21.07.2024 von Sven M. Bauer
Kolonnenspringen und Haftung: Ein Fall aus Lübeck
Einführung: Überholen im Kolonnenverkehr
Im bereits veröffentlichten Blogartikel „Kolonnenspringen im Straßenverkehr: Eine rechtliche Einordnung“ (Link) haben wir die allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen und Sicherheitsaspekte dieser Fahrpraxis behandelt. Heute möchten wir einen spezifischen Fall vorstellen, der vor dem Landgericht Lübeck (Az.: 9 O 27/21) entschieden wurde, um die rechtlichen Konsequenzen des Kolonnenspringens weiter zu veranschaulichen. Dieses Urteil vom 28.07.2023 bietet interessante Einblicke in die Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen während des Kolonnenspringens.
Der Unfall beim Überholen einer Kolonne
Am Morgen des 20. April 2020 ereignete sich auf der Landstraße 92 im Kreis Stormarn ein Verkehrsunfall, der schließlich vor Gericht landete. Der Kläger, ein Autofahrer, fuhr hinter einem Traktor und zwei weiteren Fahrzeugen. Nach dem Ende eines Überholverbots entschloss er sich, die gesamte Kolonne zu überholen.
Als der Kläger bereits das erste Fahrzeug überholt hatte und sich neben dem Fahrzeug der Beklagten befand, scherte diese ebenfalls aus, um den Traktor zu überholen. Trotz eines Ausweichmanövers des Klägers kam es zu einer Berührung mit dem Traktor, was erhebliche Schäden zur Folge hatte. Die Beklagte gab an, dass sie nur leicht nach links ausscheren wollte, um die Straße besser einsehen zu können, und behauptete, sie habe dabei den Blinker betätigt und einen Schulterblick gemacht.
Die Parteien stritten vor Gericht über den genauen Unfallhergang und die Haftungsfrage. Der Kläger machte geltend, dass er sich vergewissert habe, dass kein weiteres Fahrzeug zum Überholen ansetzt, bevor er selbst überholte. Die Beklagte hingegen argumentierte, dass sie ordnungsgemäß ausgeschert sei und der Unfall nur aufgrund der Unachtsamkeit des Klägers passiert sei.
Entscheidung des Gerichts: Eine differenzierte Haftungsverteilung
Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte gegen § 5 Abs. 4 StVO verstoßen habe. Nach dieser Vorschrift muss derjenige, der zum Überholen ausscheren will, sicherstellen, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Das Gericht folgte den Aussagen von Zeugen und kam zu dem Schluss, dass die Beklagte nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet habe, als sie ausscherte. Aufgrund dieser erhöhten Sorgfaltspflicht wurde die Beklagte zu 80 % haftbar gemacht.
Mitverschulden des Klägers
Obwohl das Überholen einer Kolonne grundsätzlich nicht verboten ist, muss auch der Überholende besondere Vorsicht walten lassen. Das Gericht urteilte, dass der Unfall für den Kläger nicht völlig unvermeidbar war. Ein sogenannter „Idealfahrer“ hätte die damit verbundenen Risiken erkannt und möglicherweise von einem Überholvorgang abgesehen. Daher wurde ein Mitverschuldensanteil von 20 % für den Kläger festgelegt.
Fazit: Rechtliche Implikationen des Kolonnenspringens
Dieser Fall zeigt deutlich, dass das Kolonnenspringen rechtliche Risiken mit sich bringt. Sowohl der ausscherenende Fahrer als auch der Überholende tragen eine hohe Verantwortung und müssen umfassend prüfen, ob ihr Manöver sicher ist. Das Urteil des Landgerichts Lübeck unterstreicht die Wichtigkeit der gesteigerten Sorgfaltspflichten und die strikte Anwendung der Straßenverkehrsordnung (StVO).
Die Anwaltskanzlei Bauer & Kollegen steht Ihnen gerne für eine Beratung zur Verfügung, wenn Sie Fragen zu ähnlichen Fällen oder anderen verkehrsrechtlichen Themen haben. Unser erfahrenes Team unterstützt Sie dabei, Ihre Rechte zu wahren und rechtliche Klarheit zu schaffen.
Dieser Blogartikel dient lediglich zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei spezifischen rechtlichen Fragen oder Anliegen sollten Sie sich an einen qualifizierten Rechtsanwalt wenden.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Landgerichtes Lübeck vom 28.07.2023, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.