10.07.2024 von Sven M. Bauer
Kolonnenspringen im Straßenverkehr: Ein Urteil im Detail
Kolonnenspringen bezeichnet das Überholen mehrerer Fahrzeuge in einer Kolonne, um schneller voranzukommen. Dies ist besonders auf Landstraßen und Autobahnen weit verbreitet und birgt erhebliche Gefahren. Unser bereits veröffentlichter Artikel (Link) behandelt die allgemeinen rechtlichen und sicherheitstechnischen Aspekte des Kolonnenspringens. In diesem Blogartikel wollen wir auf einen konkreten Fall eingehen, der vor dem Landgericht Ellwangen verhandelt wurde.
Das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 20. März 2024 (Aktenzeichen 1 S 70/23) befasste sich mit einem Verkehrsunfall, der durch riskantes Überholen auf einer Kreisstraße verursacht wurde. Der Fall ist ein gutes Beispiel dafür, wie Gerichte die rechtlichen Bestimmungen zum Kolonnenspringen anwenden und interpretieren.
Der Unfallhergang: Ein riskantes Überholmanöver auf kurviger Straße
Der Fall ereignete sich an einem Nachmittag im Juli 2022 auf der Kreisstraße zwischen Gaggstatt und Wallhausen. Der Kläger, Besitzer eines Tesla Model S, kollidierte beim Überholen einer Fahrzeugkolonne mit einem Opel Astra. Auf der kurvigen und engen Kreisstraße beschleunigte der Teslafahrer auf 95 km/h, um drei Fahrzeuge auf einmal zu überholen. Dabei kam es zu einer Streifkollision mit dem Opel Astra.
Die Straße war an dieser Stelle etwa 5 Meter breit, ohne Mittellinie und ohne Bankett. Sie verlief zunächst in einer Rechtskurve bergab und anschließend in einer Linkskurve bergauf. Der Tesla verfügte über eine Breite von knapp 2,1 Metern, einschließlich der Außenspiegel.
Der Kläger machte geltend, dass der Fahrer des Opels das Rechtsfahrgebot verletzt habe und somit für den Unfall verantwortlich sei. Dementsprechend verlangte er Schadensersatz vom Fahrer und Halter des Opels sowie deren Haftpflichtversicherung.
Bereits das Amtsgericht Langenburg wies die Klage des Teslafahrers jedoch ab, da dieser gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen habe, welcher das Überholen bei unklarer Verkehrslage regelt. Der Kläger legte daraufhin Berufung beim Landgericht Ellwangen ein.
Gerichtliche Entscheidung: Keine Pflicht zum Fahren am äußersten rechten Fahrbahnrand
Das Landgericht Ellwangen bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts und wies die Berufung des Klägers ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Schadensersatz, da er für die Unfallfolgen allein verantwortlich sei. Das Gericht sah in seinem Verhalten einen grob fahrlässigen Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO.
Überholen bei unklarer Verkehrslage
Nach Ansicht des Gerichts durfte der Kläger aufgrund der engen und kurvigen Kreisstraße sowie der Breite seines Fahrzeugs nicht darauf vertrauen, dass alle überholten Fahrzeuge am äußersten rechten Fahrbahnrand fahren würden. Das riskante Überholmanöver hätte der Kläger unter diesen Bedingungen unterlassen müssen.
Kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot
Das Landgericht stellte zudem fest, dass dem Fahrer des Opels kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 2 Abs. 2 StVO anzulasten sei. Angesichts der Straßenbreite und des fehlenden Banketts durfte der Opelfahrer einen gewissen Sicherheitsabstand zum rechten Fahrbahnrand einhalten. Eine Verpflichtung, am äußersten rechten Rand zu fahren, um riskante Überholmanöver zu ermöglichen, besteht nicht.
Fazit: Vorsicht beim Kolonnenspringen
Dieser Fall zeigt, dass Kolonnenspringen erhebliche (rechtliche) Risiken mit sich bringt. Überholen bei unklarer Verkehrslage ist nicht nur gefährlich, sondern kann auch schwerwiegende rechtliche Konsequenzen haben. Das Urteil des Landgerichts Ellwangen verdeutlicht, dass Fahrer nicht darauf vertrauen dürfen, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer immer am äußersten rechten Fahrbahnrand fahren.
Verkehrsteilnehmer sollten sich bewusst sein, dass riskantes Überholen nicht nur ihre eigene Sicherheit, sondern auch die anderer gefährdet. Im Falle eines Unfalls kann dies zu einer alleinigen Haftung führen, wie im vorliegenden Fall.
Wenn Sie Fragen zum Thema Kolonnenspringen oder andere verkehrsrechtliche Anliegen haben, steht Ihnen die Anwaltskanzlei Bauer und Kollegen aus Brühl zur Verfügung. Unser erfahrenes Team berät Sie gerne und unterstützt Sie bei rechtlichen Fragen.
Dieser Artikel dient ausschließlich zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei spezifischen Anliegen oder Fragen sollten Sie sich an einen qualifizierten Rechtsanwalt wenden.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Landgerichts Ellwangen vom 20. März 2024, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.