15.06.2023 von Bianca Dlugosch

Unfall im öffentlichen Nahverkehr: Hälftige Haftungsverteilung bei Sturz eines Businsassen wegen schuldhafter Notbremsung

Einführung

In einem bemerkenswerten Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts aus April 2023 (Aktenzeichen 7 U 125/22) wurde kürzlich der Grundsatz der Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen neu interpretiert. Dieses Urteil könnte weitreichende Auswirkungen auf die rechtlichen Verpflichtungen von Fahrgästen und Fahrern im öffentlichen Nahverkehr haben.

Der Fall

Der Vorfall ereignete sich an einem regnerischen Winterabend, als eine 82-jährige Frau mit dem Bus nach Hause fuhr. Sie stand auf, um auszusteigen, hielt sich mit einer Hand an einer Stange fest und hielt ihre Tasche und einen Regenschirm in der anderen Hand. Der Busfahrer sah eine Fußgängerin zu spät und musste eine Notbremsung durchführen, um eine Kollision zu vermeiden. Während der Notbremsung verlor die Frau das Gleichgewicht und stürzte, wobei sie mehrere Knochenbrüche erlitt und in der Folge dauerhaft in einem Pflegeheim untergebracht werden musste.

Das Urteil

Das OLG Schleswig urteilte, dass Fahrgäste nur dann Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn sie sich gut festgehalten haben. Wenn jedoch ein Fahrfehler des Busfahrers vorliegt, ist der Fahrgast dennoch berechtigt, eine Entschädigung zu verlangen, auch wenn er sich nicht ausreichend gesichert hat. Wenn die Bremsung jedoch im Rahmen des normalen Verkehrs erfolgt ist, tritt die Betriebsgefahr vollständig hinter das Eigenverschulden des Fahrgasts zurück.

In diesem speziellen Fall hafteten die Beklagten grundsätzlich gesamtschuldnerisch für die einfache Betriebsgefahr und auch für den Verkehrsverstoß des Fahrers, da die Notbremsung kein normaler Bremsvorgang war, sondern die Folge eines Verkehrsverstoßes.

Schlüsselerkenntnisse und Auswirkungen

Interessanterweise wurde der Frau ein erhebliches Mitverschulden angerechnet, da sie sich nicht ausreichend festgehalten hatte. Die Richter stellten fest, dass es in ihrem Alter ihre Pflicht gewesen wäre, sich mit beiden Händen festzuhalten, um bei abrupten Fahrt- oder Bremsbewegungen das Gleichgewicht zu halten. Dieses Mitverschulden verdrängt die Gefährdungshaftung aus einfacher Betriebsgefahr vollständig und bei einem Fahrfehler – wie in diesem Fall – zur Hälfte.

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der Selbstsicherung im öffentlichen Nahverkehr und die Rolle, die sie bei der Beurteilung von Schadensersatzansprüchen spielt. Es ist ein Aufruf zur Vorsicht für alle Fahrgäste, insbesondere für ältere Menschen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität, und es wirft wichtige Fragen auf, wie wir die Sicherheit im öffentlichen Verkehr weiter verbessern können.

Fazit

Die rechtlichen Aspekte solcher Fälle sind komplex und erfordern eine sorgfältige Analyse und Bewertung. Bei der Beurteilung von Verkehrsunfällen und Schadensersatzansprüchen kommt es auf die Einzelfallumstände an. Dieses Urteil stellt jedoch einen wichtigen Präzedenzfall dar, der das Verhältnis zwischen den Pflichten von Fahrgästen und Fahrern im öffentlichen Nahverkehr neu definiert.

Wenn Sie oder ein Ihnen nahestehender Mensch jemals in einer ähnlichen Situation waren oder sind, sollten Sie rechtlichen Rat einholen. Wir von der Anwaltskanzlei Bauer & Kollegen stehen Ihnen gerne zur Verfügung, um Sie durch den Prozess zu begleiten und sicherzustellen, dass Ihre Rechte gewahrt bleiben. Anwaltskanzlei Bauer & Kollegen

 

Dieser Blog-Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei spezifischen Fragen oder Anliegen sollten Sie sich an einen qualifizierten Rechtsanwalt wenden.

 




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