20.09.2024 von Sven M. Bauer

Kündigungsschutz für Schwangere: Einblick in ein aktuelles Urteil

Am 27. Juni 2024 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C-284/23 über einen Fall, der die Rechte von schwangeren Arbeitnehmerinnen im Zusammenhang mit Kündigungen betrifft. Ausgangspunkt war eine Kündigungsklage einer schwangeren Arbeitnehmerin gegen ihre Arbeitgeberin. Das Arbeitsgericht Mainz hatte Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit europäischem Recht und legte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

 

Kündigung einer schwangeren Pflegehelferin durch das Pflegeheim

Die Klägerin, TC, war seit dem 1. August 2022 als Pflegehelferin in einem Pflegeheim beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war auf ein Jahr befristet. Am 6. Oktober 2022 erhielt TC eine Kündigung zum 21. Oktober 2022. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie schwanger war. Erst am 9. November 2022 wurde bei ihr eine Schwangerschaft in der siebten Woche ärztlich festgestellt. TC informierte ihren Arbeitgeber am 10. November 2022 über die Schwangerschaft.

 

Für TC stellte sich nun die Frage, ob die Kündigung rechtmäßig war, da schwangere Arbeitnehmerinnen in Deutschland einen besonderen Kündigungsschutz genießen. Nach deutschem Recht hätte TC innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage erheben müssen, um die Kündigung anzufechten. Diese Frist war jedoch bereits verstrichen, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Zudem hätte sie innerhalb von zwei Wochen nach der Kenntniserlangung der Schwangerschaft einen Antrag auf Zulassung einer verspäteten Klage stellen müssen, was sie jedoch nicht tat.

 

Das Arbeitsgericht Mainz, bei dem TC am 13. Dezember 2022 Klage einreichte, sah sich vor der Herausforderung, diese rechtliche Situation zu bewerten. Da die ordentliche Frist bereits verstrichen war und TC keinen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage gestellt hatte, hätte das Gericht die Klage normalerweise abweisen müssen. Das Gericht fragte sich jedoch, ob diese nationalen Regelungen mit der EU-Richtlinie 92/85, die den Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen regelt, vereinbar sind und legte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

 

Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vereinbarkeit mit EU-Richtlinien

Der EuGH entschied, dass die deutschen Regelungen zur Fristsetzung für die Kündigungsschutzklage und die Zulassung verspäteter Klagen nicht vollständig im Einklang mit der EU-Richtlinie 92/85 stehen. Die Richtlinie sieht vor, dass schwangere Arbeitnehmerinnen vor Kündigungen geschützt sind und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz genießen müssen.

 

Nach Auffassung des EuGH stellt die deutsche Regelung, die lediglich eine zweiwöchige Frist für den Antrag auf Zulassung einer verspäteten Klage vorsieht, eine erhebliche Erschwernis für schwangere Arbeitnehmerinnen dar. Besonders zu Beginn einer Schwangerschaft, in einer emotional und physisch ohnehin belastenden Situation, ist diese Frist als sehr kurz anzusehen. Der Gerichtshof betonte, dass eine solch kurze Frist es der Arbeitnehmerin sehr erschwert, sich sachgerecht beraten zu lassen und die notwendigen rechtlichen Schritte einzuleiten.

 

Die Entscheidung des EuGH stellt klar, dass die Mitgliedstaaten zwar Ausschlussfristen festsetzen dürfen, diese aber den Effektivitätsgrundsatz beachten müssen. Das bedeutet, dass die Fristen nicht so kurz sein dürfen, dass sie die effektive Wahrnehmung der durch die Richtlinie 92/85 garantierten Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Der EuGH betonte, dass es insbesondere im Interesse der Rechtssicherheit wichtig ist, dass Arbeitnehmerinnen ausreichend Zeit haben, um ihre Rechte geltend zu machen.

 

Zusammengefasst entschied der EuGH, dass die deutschen Regelungen insoweit gegen die Richtlinie verstoßen, als sie die Rechte schwangerer Arbeitnehmerinnen übermäßig einschränken. Das Arbeitsgericht Mainz muss nun prüfen, ob die spezifischen Verfahrensmodalitäten im Zusammenhang mit dem Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage die Umsetzung der Rechte aus der Richtlinie übermäßig erschweren.

 

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung des Schutzes schwangerer Arbeitnehmerinnen und die Notwendigkeit, dass nationale Regelungen diesen Schutz nicht unterlaufen dürfen. Für Arbeitnehmerinnen, die sich in einer ähnlichen Situation wie TC befinden, bietet das Urteil Orientierung und Hoffnung, dass ihre Rechte auch nach Ablauf der ordentlichen Klagefristen gewahrt bleiben können.

Die Anwaltskanzlei Bauer & Kollegen aus Brühl steht Ihnen gerne für eine persönliche Beratung zur Verfügung. Unser erfahrenes Team von Anwälten kann Ihnen helfen, die Auswirkungen dieser Entscheidung aus dem Arbeitsrecht zu verstehen und Sie bei rechtlichen Fragen unterstützen.

 

Dieser Blog-Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei spezifischen Fragen oder Anliegen sollten Sie sich an einen qualifizierten Rechtsanwalt wenden.

Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Juni 2024, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.





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