15.03.2018 von Bianca Dlugosch

Kein Schutz für schwangere Arbeitnehmerinnen bei Massenentlassung

EuGH, Urteil vom 22.02.2018, Az. C-103/16

Der Europäische Gerichtshof hat mit dem Urteil vom 22.02.2018 entschieden, dass schwangeren Arbeitnehmerinnen im Zuge einer Massenentlassung das Arbeitsverhältnis gekündigt werden darf. In der Kündigung sind insoweit die Gründe für die Massenentlassung sowie auch die sachlichen Kriterien mitzuteilen, nach denen die schwangere Arbeitnehmerin ausgewählt worden ist.

In dem vorgenannten Urteil ging es um ein spanisches Unternehmen, welches Anfang 2013 Kontakt mit der Arbeitnehmervertretung aufgrund einer geplanten Massenentlassung aufgenommen hatte. Sodann wurden im Februar 2013 durch das Verhandlungsgremium die maßgeblichen Auswahlkriterien für die zu kündigenden Arbeitnehmer festgelegt. Aufgrund dieser Vereinbarung kündigte das Unternehmen im November 2013 einer schwangeren Arbeitnehmerin. Das Unternehmen begründete die Kündigung damit, dass für die spanische Provinz, in welcher die schwangere Arbeitnehmerin arbeitete, weitgreifende Personalanpassungen erforderlich sind. Weiterhin sind nach dem Bewertungsverfahren, welches das Unternehmen in der Konsultationsphase mit der Arbeitnehmervertretung durchgeführt hat, ihr Ergebnis zu den niedrigsten in dieser Provinz zählte.

Die Arbeitnehmerin klagte sodann gegen die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung beim zuständigen spanischen Arbeits- und Sozialgericht (Juzgado Social No 1 de Mataró). Dies allerdings ohne Erfolg. Gegen die Entscheidung legte die Klägerin ein Rechtsmittel beim Oberstes Gericht von Katalonien (Tribunal Superior de Justicia de Cataluña) ein. Das Oberste Gericht rief daraufhin den EuGH im Vor-abentscheidungsverfahren an und bat um die Auslegung des in der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG geregelten Verbots der Kündigung schwangerer Arbeitnehmerinnen in Fällen, in denen ein Massenentlassungsverfahren im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG durchgeführt wird.

Der EuGH kam daraufhin zu dem Schluss, dass einer schwangeren Arbeitnehmerin aufgrund einer Massenentlassung gekündigt werden darf. Eine nationale Regelung, die dies vorsehe, verstoße nicht gegen die Richtlinie 92/85/EWG. Zwar ist eine Kündigung, welche den wesentlichen Grund in der Schwangerschaft der betroffenen Arbeitnehmerin hat, unzulässig. Zulässig ist nach der Richtlinie aber eine Kündigung aus schwangerschaftsunabhängigen Gründen, sofern der Arbeitgeber diese berechtigten Gründe in der Kündigung anführt. Des Weiteren muss die Kündigung der betroffenen Arbeitnehmerin nach den betreffenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sein.
Insoweit können die Gründe, welche nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen und aufgrund von Massenentlassungen geltend gemacht werden, unter die nicht mit dem Zustand der Arbeitnehmerinnen in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle im Sinne der Richtlinie 92/85/EWG fallen.

Der EuGH führt weiterhin aus, dass der Arbeitgeber bei Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit einer Massenentlassung nur die Gründe für die Massenentlassung nennen muss. Auch müssen die sachlichen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer aufgeführt werden. Nach den beiden Richtlinien ist nur erforderlich, dass der Arbeitgeber die nicht in der Person der schwangeren Arbeitnehmerin liegenden Gründe für die Massenentlassung schriftlich darlegt und der Betroffenen die sachlichen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer nennt. Hierzu zählen u. a. wirtschaftliche, technische oder sich auf Organisation oder Produktion des Unternehmens beziehende Gründe.

Des Weiteren hat der EuGH entschieden, dass sich die EU-Staaten im Falle einer widerrechtlichen Kündigung nicht darauf beschränken dürfen, deren Unwirksamkeit als Wiedergutmachung vorzusehen, ohne die Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen grundsätzlich präventiv zu verbieten. Die Richtlinie 92/85/EWG unterscheidet insoweit zwischen dem präventiven Kündigungsschutz und dem Schutz vor den Folgen einer Kündigung als Wiedergutmachung. Die Mitgliedstaaten müssten daher diesen doppelten Schutz gewährleisten.

Der EuGH hat dahingehend zwei weitere Fragen des spanischen Gerichts insoweit beantwortet, dass EU-Staaten im Falle einer Massenentlassung für schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillende Arbeitnehmerinnen keinen Vorrang bzgl. einer Weiterbeschäftigung sowie auch keinen Vorrang hinsichtlich einer anderweitigen Verwendung vor einer Entlassung vorsehen müssen. Die Richtlinie 92/85/EWG enthält insoweit lediglich die Mindestvorschriften. Die Mitgliedsstaaten können diesen Arbeitnehmergruppen trotz dessen einen weitergehenden Schutz gewähren.

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