03.11.2025 von Sven M. Bauer
Geblitzt ohne Rohdaten: Wann Messergebnisse unverwertbar sind
Wie viel Kontrolle einem geblitzten Autofahrer zusteht, ist Gegenstand eines aktuellen Beschlusses des Oberlandesgerichts Saarbrücken. Mit Vorlagebeschluss vom 10.04.2025, Az. 1 Ss (OWi) 112/24, kündigt der Senat an, eine amtsgerichtliche Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufheben zu wollen und legt die zentrale Rechtsfrage dem Bundesgerichtshof zur Klärung vor. In diesem Artikel der Anwaltskanzlei Bauer und Kollegen aus Brühl erfahren Sie verständlich aufbereitet, worum es im konkreten Fall ging, weshalb das Gericht die Sache vorlegt und was das für Betroffene bedeuten kann.
Ein Fahrer wehrt sich gegen einen Bußgeldbescheid
Ausgangspunkt war eine alltägliche Verkehrssituation außerhalb geschlossener Ortschaften. Erlaubt waren 100 km pro Stunde. Ein Autofahrer wurde mit 35 km pro Stunde zu viel gemessen und erhielt zunächst einen Bußgeldbescheid über 300 Euro. In der Folge kam es zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht St. Ingbert. Gemessen wurde mit einem Lasermessgerät des Typs Poliscan FM1. Solche Geräte werden in der Rechtsprechung als standardisiertes Messverfahren bezeichnet. Das bedeutet vereinfacht, dass die Messmethode fest normiert ist und bei richtiger Anwendung verlässliche Ergebnisse liefert.
Der Mann akzeptierte die Sache nicht und legte Einspruch ein. In der Verhandlung widersprach sein Verteidiger der Verwertung des Messergebnisses. Die Begründung war, dass das Gerät die Rohmessdaten nicht speichert. Rohmessdaten sind die ursprünglichen Messwerte, die der Sensor beim Messen erzeugt, etwa Abstände und Zeitstempel, bevor sie vom Gerät weiterverarbeitet werden. Ohne diese Grundlage lasse sich die konkrete Messung später nicht sachverständig prüfen. Der Autofahrer berief sich auf sein Recht auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör. Er machte zudem geltend, es gebe keine anderen gleichermaßen zuverlässigen Möglichkeiten, den Messwert im Nachhinein zu überprüfen.
Das Amtsgericht verurteilte ihn dennoch. Es reduzierte die Geldbuße auf 250 Euro und stützte sich auf das standardisierte Messverfahren. Nach Auffassung des Amtsgerichts sei die Rechtsprechung, die ein Verwertungsverbot bei fehlenden Rohdaten annimmt, überholt. Es verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht frühere Verfassungsbeschwerden zu dieser Frage nicht zur Entscheidung angenommen hatte und dass nach Stellungnahmen der Physikalisch Technischen Bundesanstalt Rohmessdaten zur Überprüfung eines geeichten Messwerts nicht geeignet seien.
Der Autofahrer gab sich damit nicht zufrieden und ließ die Sache im Rechtsbeschwerdeverfahren vom Oberlandesgericht überprüfen. Das OLG ließ die Rechtsbeschwerde zu und holte ein messtechnisches Gutachten ein. Dieses bestätigte aus technischer Sicht wesentliche Punkte der Verteidigung: Beim verwendeten Gerät mit der Softwareversion 4.4.9 werden die zur Messwertbildung genutzten Daten nicht gespeichert. Nur wenige Zusatzdaten werden festgehalten, ihnen werden jedoch keine echten Zeitwerte zugeordnet, sondern fiktiv die Startzeit der Messreihe. Eine nachträgliche Weg-Zeit Berechnung ist so nicht möglich. Ein anderer Prüfweg, der sogenannte Smear Effekt auf dem Messfoto, kam hier nicht in Betracht, weil das Foto keine verwertbaren Lichtspuren zeigte. Auch eine fotogrammetrische Auswertung kann zwar grob eine Plausibilität liefern, erreicht aber nicht die Zuverlässigkeit einer Prüfung anhand vollständiger Rohdaten und deckt mögliche Unregelmäßigkeiten einer konkreten Messung nicht sicher auf. Das Gutachten stellte außerdem klar, dass eine Speicherung vollständiger Rohmessdaten technisch grundsätzlich möglich wäre.
Vorlage an den BGH und die Frage nach einem fairen Verfahren
Das Oberlandesgericht Saarbrücken kündigt an, das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben. Der Senat stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes aus dem Jahr 2019. Danach verletzt es das Recht auf ein faires Verfahren, wenn eine Verurteilung allein auf ein Messergebnis gestützt wird, ohne dass Rohmessdaten vorliegen oder andere gleichermaßen zuverlässige Verteidigungsmöglichkeiten bestehen. In solchen Fällen soll das Messergebnis unverwertbar sein, sofern der Betroffene der Verwertung in der Hauptverhandlung widerspricht. Ein Beweisverwertungsverbot bedeutet, dass das Gericht einen bestimmten Beweis nicht verwenden darf, weil seine Nutzung gegen Verfahrensgrundsätze verstößt.
Das OLG sieht sich an diese verfassungsgerichtliche Linie gebunden. Zugleich erkennt es, dass zahlreiche andere Oberlandesgerichte in Deutschland die Verwertbarkeit von Messergebnissen nicht davon abhängig machen, ob Rohmessdaten gespeichert wurden. Dort wird überwiegend argumentiert, dass aus dem Prinzip der Waffengleichheit kein Anspruch auf Schaffung neuer Beweismittel folgt und dass standardisierte Messverfahren aufgrund der gesetzlichen Anforderungen eine hohe Verlässlichkeit bieten. Weil das Saarländische OLG die Entscheidung des Amtsgerichts aufheben möchte, damit aber von der Rechtsprechung vieler Obergerichte abweichen würde, hat es die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Der BGH soll klären, ob Messergebnisse ohne gespeicherte Rohmessdaten im Bußgeldverfahren verwertet werden dürfen, wenn keine anderen zuverlässigen Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen und der Betroffene der Verwertung widerspricht.
Inhaltlich begründet das OLG seine Absicht zur Aufhebung wie folgt. Erstens: Beim verwendeten Gerät mit Softwareversion 4.4.9 werden die zur Messwertbildung genutzten Daten nicht gespeichert, obwohl dies technisch möglich wäre. Zweitens: Eine sachverständige Überprüfung könnte mit Rohmessdaten nicht nur die Rechenwege im Gerät nachvollziehen, sondern auch Unregelmäßigkeiten der konkreten Messung aufdecken und die Plausibilität der gemessenen Geschwindigkeit innerhalb der Toleranzgrenzen beurteilen. Drittens: Im konkreten Fall standen keine anderen ebenso verlässlichen Prüfwege zur Verfügung. Der Widerspruch gegen die Verwertung wurde rechtzeitig in der Hauptverhandlung erhoben. Das OLG hebt außerdem hervor, dass die Anerkennung standardisierter Messverfahren zwar die Anforderungen an Begründung und Aufklärung in vielen Fällen reduziert, die Frage des fairen Verfahrens aber davon unberührt bleibt. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die den vom saarländischen Verfassungsgerichtshof angenommenen Schutzumfang eindeutig verneinen würden, liegen nicht vor. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat die Kernfrage bisher offengelassen.
Die Vorlage an den Bundesgerichtshof ist damit konsequent. Der BGH soll nun verbindlich klären, ob in Konstellationen wie dieser ein Verwertungsverbot greift. Für den betroffenen Autofahrer bedeutet das: Seine Verurteilung steht nach vorläufiger Ansicht des OLG auf wackeliger Grundlage, weil er ohne gespeicherte Rohdaten keine echte Möglichkeit hatte, die konkrete Messung sinnvoll zu überprüfen.
Was bedeutet das für Betroffene nach einer Blitzer Messung ohne Rohdaten
Der Fall zeigt, wie wichtig Transparenz bei Geschwindigkeitsmessungen ist. Wer einen Bußgeldbescheid erhält, sollte prüfen lassen, welches Messgerät und welche Softwareversion verwendet wurden und ob eine nachträgliche Kontrolle der Messung überhaupt möglich ist. Fehlen Rohmessdaten und gibt es keine anderen zuverlässigen Prüfwege, kann je nach Ausgang der BGH Entscheidung ein Verwertungsverbot in Betracht kommen. Wichtig ist, frühzeitig zu handeln und in der Hauptverhandlung die Verwertung des Messergebnisses zu thematisieren. Die Anwaltskanzlei Bauer und Kollegen aus Brühl unterstützt Sie dabei, Bußgeldbescheide zu überprüfen, die Erfolgsaussichten realistisch einzuschätzen und die richtigen Schritte im Verfahren zu gehen. Jeder Fall ist individuell, lassen Sie sich daher frühzeitig beraten.
Dieser Blog-Artikel dient ausschließlich zu Informationszwecken und stellt keine juristische Beratung dar. Für konkrete Fragen oder Anliegen wenden Sie sich bitte an einen fachkundigen Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 10.04.2025, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichts.