20.10.2025 von Sven M. Bauer
Eigenbedarfskündigung: So lässt sich gesundheitliche Härte belegen
Wenn Vermieter wegen Eigenbedarf kündigen, stellt sich für Mieter oft die Frage, wie sie eine besondere Härte verständlich und rechtssicher darlegen können. Genau damit befasst sich ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.04.2025, Aktenzeichen VIII ZR 270/22. In diesem Artikel der Anwaltskanzlei Bauer und Kollegen aus Brühl erfahren Sie, worum es in dem Fall ging und was der BGH entschieden hat. Es geht um die Frage, welche Unterlagen ein Mieter braucht, um eine gesundheitliche Härte geltend zu machen. Der BGH stellt klar, dass nicht immer ein fachärztliches Attest nötig ist, sondern unter Umständen auch eine qualifizierte Stellungnahme des behandelnden Therapeuten ausreichen kann.
Ein Berliner Mietverhältnis und die Angst vor dem Umzug
Der Beklagte zu 1 lebt seit Dezember 2006 als Mieter in einer Wohnung in Berlin. Bei ihm wohnt eine Untermieterin, die Beklagte zu 2. Im April 2020 kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis zum 31. Januar 2021 wegen Eigenbedarfs. Dass der Eigenbedarf bestand, war später vor Gericht unstreitig. Für den Mieter stand jedoch eine andere Frage im Mittelpunkt. Er befürchtete, dass ein erzwungener Umzug seine psychische Gesundheit erheblich verschlechtern würde. Er befand sich bereits in Behandlung und wandte sich gegen die Kündigung.
Um die Härte zu untermauern, legte der Mieter eine Stellungnahme seines behandelnden Psychoanalytikers vor. Aus dem Schreiben ergab sich, dass seit Mitte Oktober 2020 wöchentlich psychotherapeutische Sitzungen stattfanden. Der Mieter leide an einer akuten Depression und sei emotional instabil. Existenzängste führten zeitweise zur Arbeitsunfähigkeit. Ein Umzug, so die Einschätzung des Behandlers, wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes verbunden.
Die Vermieterin klagte dennoch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung. Vor dem Amtsgericht hatte sie Erfolg. Das Gericht stellte den Eigenbedarf fest und verneinte einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses. Aus Sicht des Amtsgerichts war nicht ausreichend dargelegt, wie genau und in welchem Ausmaß sich der Gesundheitszustand des Mieters durch einen Umzug verschlechtern würde.
Der Mieter gab sich damit nicht zufrieden und legte Berufung ein. Das Landgericht kündigte in einem Hinweisbeschluss an, es sehe die Voraussetzungen für eine gesundheitliche Härte nicht als hinreichend konkret dargelegt an. Nach seiner Auffassung sei ein ausführliches fachärztliches Attest erforderlich. Die vorgelegte Stellungnahme stamme jedoch nicht von einem Facharzt, sondern von einem Psychoanalytiker. Der Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten zu den gesundheitlichen Folgen eines Umzugs einzuholen, wurde deshalb nicht weiter verfolgt.
Daraufhin reichten die Beklagten eine weitere ausführliche Stellungnahme des Behandlers nach. Darin hieß es, beim Mieter trete in Episoden einer manischen Depression eine extreme Verzweiflung auf, in der Suizidgedanken als einziger Ausweg erschienen. Die Behandlung befinde sich erst am Anfang eines längeren Prozesses. Der Verlust des Lebensmittelpunkts könne mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verzweiflungstat führen, gegebenenfalls mit tödlichem Ausgang.
Trotz dieser Ergänzung wies das Landgericht die Berufung zurück. Es betrachtete den neuen Vortrag als verspätet und blieb dabei, dass ohne fachärztliches Attest die behauptete gesundheitliche Härte nicht ausreichend belegt sei. Damit stand die Räumungsverpflichtung im Raum. Der Mieter und seine Untermieterin legten Revision zum Bundesgerichtshof ein.
Der BGH präzisiert die Anforderungen an den Härteeinwand
Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung des Landgerichts in dem Teil auf, der die Härteregelung betrifft, und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück. Damit stellte der BGH nicht fest, dass der Mieter bleiben darf, sondern klärte die Maßstäbe, nach denen die behauptete gesundheitliche Härte zu prüfen ist.
Kern der Entscheidung ist die Frage, wie Mieter eine gesundheitliche Härte darlegen müssen, wenn sie sich gegen eine Eigenbedarfskündigung wehren. Der BGH betont, dass ein fachärztliches Attest ein geeigneter und oft sicherer Weg ist, die Schwere einer Erkrankung und die Folgen eines Umzugs darzustellen. Es ist aber nicht zwingend erforderlich. Auch eine ausführliche Stellungnahme eines medizinisch qualifizierten Behandlers kann genügen, sofern sie inhaltlich aussagekräftig ist und sich konkret auf das Beschwerdebild bezieht. Bei psychischen Erkrankungen kann dies zum Beispiel eine fundierte Stellungnahme eines Therapeuten sein, der den Patienten behandelt, auch wenn dieser nicht Facharzt ist. Entscheidend ist, was in der Stellungnahme steht, wie detailliert die gesundheitlichen Risiken beschrieben sind und ob sich daraus eine konkrete Gefahr für die Gesundheit bei einem Umzug ableiten lässt.
Der BGH rügte, dass das Landgericht die eingereichten Stellungnahmen des Behandlers nicht inhaltlich gewürdigt hatte, sondern sie allein deshalb für unzureichend hielt, weil sie nicht von einem Facharzt stammten. Das entspricht nicht der Rechtsprechung. Wenn ein Mieter substantiiert vorträgt, dass ihm bei einem Umzug schwerwiegende gesundheitliche Nachteile drohen, müssen die Tatsachengerichte, soweit ihnen die medizinische Fachkunde fehlt, regelmäßig sachverständige Hilfe einholen. So lässt sich klären, welche konkreten gesundheitlichen Folgen im Einzelfall zu erwarten sind und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese eintreten können.
Zudem beanstandete der BGH, dass das Landgericht den ergänzenden Vortrag in der zweiten Instanz als verspätet zurückgewiesen hatte. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Zurückweisung waren nicht festgestellt und waren auch nicht ersichtlich. Das Landgericht hätte beide Stellungnahmen des Behandlers zusammen auswerten und den Vortrag einer Gesamtwürdigung unterziehen müssen.
Das Landgericht muss jetzt erneut über die Frage entscheiden, ob der Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses als Härtefall verlangen kann. Dabei hat es die inhaltliche Qualität der vorgelegten Stellungnahmen zu prüfen und, falls erforderlich, ein Sachverständigengutachten zu den gesundheitlichen Risiken eines Umzugs einzuholen. Erst danach kann es die Interessen von Vermieter und Mieter abwägen und entscheiden, ob eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf Zeit oder auf unbestimmte Dauer in Betracht kommt.
Was bedeutet das für Mieter und Vermieter
Für Mieter, die eine Eigenbedarfskündigung erhalten und aus gesundheitlichen Gründen nicht umziehen können, ist wichtig: Ein fachärztliches Attest ist hilfreich, aber nicht zwingend vorgeschrieben. Eine ausführliche, konkrete Stellungnahme eines medizinisch qualifizierten Behandlers kann genügen, wenn sie den Gesundheitszustand, den bisherigen Verlauf der Behandlung und die zu erwartenden Risiken eines Umzugs nachvollziehbar beschreibt. Ratsam ist es, frühzeitig medizinische Unterlagen zusammenzustellen und diese klar auf die Umzugsgefahren zu beziehen.
Vermieter sollten wissen, dass Gerichte einen solchen Vortrag sorgfältig prüfen und bei hinreichender Substantiierung häufig ein Sachverständigengutachten einholen. Das kann das Verfahren verlängern, dient aber einer fairen Abwägung.
Wenn Sie in einer ähnlichen Situation sind, unterstützen wir Sie gerne. Die Anwaltskanzlei Bauer und Kollegen in Brühl berät Mieter und Vermieter zu Kündigungen wegen Eigenbedarfs und zu Härtefallkonstellationen und begleitet Sie verlässlich durch das Verfahren.
Dieser Blog-Beitrag dient ausschließlich zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei konkreten Fragen oder Anliegen sollten Sie sich an einen qualifizierten Rechtsanwalt wenden.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.04.2025, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichts.