22.11.2023 von Bianca Dlugosch
Die Verwertbarkeit von Videoaufnahmen im Arbeitsrecht: Einblick in ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts
Das Thema Datenschutz und Videoüberwachung am Arbeitsplatz wird seit Jahren intensiv diskutiert. Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 29. Juni 2023 (Aktenzeichen: 2 AZR 296/22) gibt Arbeitgebern und Arbeitnehmern nun etwas mehr Klarheit über die Verwertbarkeit von Videoaufnahmen im Kündigungsschutzprozess.
Dieser Fall wirft nicht nur ein Licht auf die Komplexität des deutschen Arbeitsrechts, sondern beleuchtet auch, wie moderne Technologien und Datenschutzvorgaben in der Praxis aufeinandertreffen. In diesem Blogartikel werden wir den Fall, die Entscheidung des Gerichts und die dahinterstehenden Argumente detailliert erörtern.
Hintergrund des Falles
Im Zentrum des Falls stand ein Mitarbeiter, der zuletzt als Teamsprecher in einer Gießerei tätig war. Dieser Mitarbeiter geriet in das Visier des Arbeitgebers aufgrund eines Vorfalls am 2. Juni 2018. Es wurde ihm vorgeworfen, er habe eine sogenannte Mehrarbeitsschicht nicht tatsächlich geleistet, hätte aber dennoch versucht, eine Vergütung dafür zu erhalten.
Die Beweislage schien eindeutig: Eine Videoaufnahme, die durch ein klar erkennbares Piktogramm gekennzeichnet und an einem Werktor angebracht war, zeigte den Kläger, wie er das Werksgelände an besagtem Tag zwar betrat, jedoch vor Beginn der Schicht wieder verließ. Dieser Beweis führte dazu, dass der Arbeitgeber sich dazu entschloss, das Arbeitsverhältnis außerordentlich, und zusätzlich hilfsweise ordentlich, zu kündigen.
Mit dem Argument, die Videoaufnahmen dürften rechtlich nicht gegen ihn verwendet werden, zog der Kläger vor Gericht. Er war der Meinung, dass die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot unterliegen und somit im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden dürften. In den ersten Instanzen erhielt der Kläger Recht und die Kündigung wurde für unwirksam erklärt.
Doch der Arbeitgeber gab nicht auf und legte Revision beim Bundesarbeitsgericht ein. Das BAG sah die Sachlage anders und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf. Es betonte, dass die Videoaufnahmen, selbst wenn sie nicht vollständig den datenschutzrechtlichen Vorgaben entsprechen würden, im Kontext dieses Falls verwertbar seien.
Entscheidung des Gerichtes und deren Begründung
Das Bundesarbeitsgericht wies die Sache zur weiteren Beurteilung an das Landesarbeitsgericht zurück. Hierbei betonte das Gericht, dass nicht nur die Darstellung der Beklagten zu berücksichtigen sei, sondern auch die konkreten Videoaufnahmen, die den Kläger zeigen.
Das Gericht argumentierte, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten des Klägers durch die Arbeitsgerichte nach der DSGVO nicht generell ausgeschlossen sei, auch wenn die Überwachung nicht in jeder Hinsicht datenschutzkonform war. Ein zentraler Punkt hierbei ist die Offenheit der Datenerhebung und das dokumentierte, vorsätzliche Fehlverhalten des Arbeitnehmers.
Datenschutz vs. Arbeitgeberinteresse
Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass der Datenschutz immer und unter allen Umständen Vorrang vor anderen Interessen hat. Das BAG betont jedoch in seinem Urteil, dass dies nicht zwingend der Fall ist. Selbst wenn eine Videoüberwachung nicht vollumfänglich den Bestimmungen der DSGVO oder des Bundesdatenschutzgesetzes entspricht, kann das Material in einem Arbeitsgericht als Beweismittel verwendet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Überwachung offen durchgeführt wurde und sie vorsätzliches, vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers dokumentiert.
Kein pauschales Verwertungsverbot
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Urteils ist, dass das Gericht nicht generell ein Verwertungsverbot in Erwägung zog, selbst wenn die Überwachungsmaßnahme eine gravierende Verletzung der Grundrechte darstellen würde. Das BAG ließ offen, ob in extremen Fällen aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Frage käme.
Schlussfolgerung und Ausblick
Dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Juni 2023 beleuchtet die Balance zwischen Datenschutz und Arbeitgeberrechten. Es verdeutlicht, dass der Datenschutz, obwohl essenziell, nicht in allen Situationen anderen rechtlichen Erwägungen vorgezogen wird. Das Gericht hebt hervor, dass klare Beweise für ein Fehlverhalten, wie in diesem Fall durch Videoüberwachung erlangt, im Arbeitsrecht eine bedeutende Rolle spielen können.
Dieses Urteil bietet sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer etwas mehr Klarheit in Bezug auf die rechtlichen Grenzen von Überwachung am Arbeitsplatz. Es betont die Wichtigkeit, in solchen Angelegenheiten stets auf dem Laufenden zu bleiben und gegebenenfalls rechtlichen Rat einzuholen.
Bei weiteren Fragen zum Arbeitsrecht und Datenschutz steht unsere Kanzlei Ihnen gerne zur Verfügung. Anwaltskanzlei Bauer & Kollegen
Dieser Blog-Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei spezifischen Fragen oder Anliegen sollten Sie sich an einen qualifizierten Rechtsanwalt wenden.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Bundesarbeitsgericht vom 29.06.2023, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.