Haftungsverteilung beim Überholen einer Kolonne: Ein Fall aus München
Das Thema Kolonnenspringen, also das Überholen mehrerer Fahrzeuge in einer Kolonne, ist ein immer wiederkehrendes Problem im Straßenverkehr. In einem bereits veröffentlichten Artikel (Link) haben wir die allgemeinen rechtlichen und sicherheitstechnischen Aspekte dieses Themas ausführlich behandelt. Ein weiterer Blogartikel (Link) befasst sich mit einem aktuellen Urteil, das die Problematik des Kolonnenspringens in den Fokus rückt. Heute möchten wir Ihnen einen Fall vorstellen, der vor dem Oberlandesgericht (OLG) München verhandelt wurde. Diese Entscheidung vom 21. Oktober 2020 (Az. 10 U 893/20) beleuchtet die Haftungsverteilung bei einem Unfall während des Überholens einer Kolonne. Obwohl das Urteil schon einige Jahre alt ist, bietet es wertvolle Einblicke und bleibt relevant für ähnliche Fälle.
Hintergrund des Falles
Im vorliegenden Fall geht es um einen Verkehrsunfall, der sich auf einer Landstraße ereignete. Die Klägerin und ihr Ehemann waren mit ihrem Fahrzeug unterwegs, als sie beschlossen, eine Kolonne von Fahrzeugen zu überholen. Während des Überholvorgangs kam es zu einer Kollision mit einem Fahrzeug aus der Kolonne, das von der Beklagten gefahren wurde und nach links abbog.
Die Klägerin forderte Schadensersatz für die entstandenen Schäden an ihrem Fahrzeug sowie für außergerichtliche Anwaltskosten. Sie argumentierte, dass der Unfall ausschließlich durch das Fehlverhalten der Beklagten verursacht wurde, die ohne ausreichende Rückschaupflicht nach links abbog. Die Beklagtenseite wiederum machte geltend, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs in unklarer Verkehrslage überholte und somit eine Mitschuld am Unfall trage.
Die erste Instanz, das Landgericht Traunstein, entschied, dass die Klägerin zu 70% haftbar sei. Diese Entscheidung wurde jedoch von der Klägerin angefochten, und der Fall kam vor das OLG München.
Entscheidung des Gerichts
Haftungsverteilung
Das OLG München korrigierte die Haftungsverteilung und entschied, dass die Beklagten zu 75% und die Klägerin zu 25% haftbar seien. Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte gegen ihre Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 StVO verstoßen habe. Sie hätte das Überholmanöver des klägerischen Fahrzeugs erkennen können und dürfen demzufolge nicht abbiegen.
Überholen bei unklarer Verkehrslage
Ein zentraler Punkt der Entscheidung war die Frage, ob der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs in unklarer Verkehrslage überholt hatte. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist das Überholen bei unklarer Verkehrslage verboten. Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen nicht mit einem ungefährlichen Überholvorgang rechnen kann.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Beklagtenseite nicht nachweisen konnte, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs in unklarer Verkehrslage überholt hatte. Weder konnte der Nachweis erbracht werden, dass die Beklagte ihre Ausscher-Absicht früh genug signalisiert hatte, noch dass der klägerische Fahrer das Überholmanöver hätte abbrechen müssen.
Geschwindigkeitsverstoß
Ein weiterer Streitpunkt war die Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs während des Überholmanövers. Das Landgericht Traunstein hatte eine Geschwindigkeit von 110 km/h angenommen, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit 100 km/h betrug. Auch hier entschied das OLG München zugunsten der Klägerin, da die Beklagtenseite den Geschwindigkeitsverstoß nicht nachweisen konnte. Mutmaßungen über die Geschwindigkeit reichten nicht aus, um eine Mitschuld der Klägerin zu begründen.
Fazit: Vorsicht beim Ausscheren aus Kolonnen
Dieser Fall zeigt, dass man sich vor dem Ausscheren vergewissern sollte, dass man damit kein anderes Fahrzeug behindert. Die Entscheidung des OLG München verdeutlicht, dass sowohl die Rückschaupflicht des abbiegenden Fahrzeugs als auch die klare Verkehrslage für den Überholenden entscheidende Kriterien sind.
Wenn Sie Fragen zum Thema Kolonnenspringen oder anderen verkehrsrechtlichen Anliegen haben, steht Ihnen die Anwaltskanzlei Bauer und Kollegen aus Brühl gerne zur Verfügung. Unser erfahrenes Team berät Sie gerne und unterstützt Sie bei rechtlichen Fragen.
Dieser Artikel dient ausschließlich zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei spezifischen Anliegen oder Fragen sollten Sie sich an einen qualifizierten Rechtsanwalt wenden.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Oberlandesgericht München vom 21. Oktober 2020, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.